Es gibt wohl kaum Produkte, die weniger mit Digitalisierung zu tun haben – zumindest auf den ersten Blick. Die Firma Rau aus Balingen stellt seit nunmehr 77 Jahren Arbeitstische und Werkbänke mit Massivholz-Platten aus Buche her – praktisch, solide und nach guter schwäbischer Handwerksart. Trotzdem hat der erfolgreiche Mittelständler aus dem Stadtteil Frommern seinen Fokus schon seit Jahren auf das Thema Digitalisierung gerichtet.
RAU sieht sich digital gut aufgestellt
Entsprechend war es für Junior-Chef Jannik Rau dann auch überhaupt keine Frage, sich um den kostenlosen Digital-Check-Up zu bewerben, den die Schwäbische Zeitung gemeinsam mit der Hochschule Ravensburg–Weingarten (RWU) für ein Unternehmen aus der Region ausgelobt hatte. Und die Freude war entsprechend groß, als sich die Balinger gegen zahlreiche starke Mitbewerber durchgesetzt hatten.
Wir hatten schon das Gefühl, dass wir in Sachen Digitalisierung ganz gut unterwegs sind. Trotzdem hat uns natürlich sehr der Blick von außen interessiert – vor allem aus wissenschaftlicher Perspektive“, erläutert Rau seine Beweggründe für die Teilnahme. Und diese habe sich schon jetzt absolut gelohnt, ist das Fazit des Junior-Chefs nach dem ersten Treffen mit den Digitalisierungsexperten Andreas Pufall und Steffen Jäckle.
Die beiden Professoren von der Hochschule Ravensburg-Weingarten haben sich schon lange auf das Thema Digitalisierung und digitale Transformation spezialisiert und in diesem Zusammenhang den sogenannten Digital Transformation Excellence Navigator (DTXN) entwickelt. Dieses Online-Tool ermittelt den digitalen Reifegrad von Unternehmen – anhand eines 130 Punkte umfassenden Fragebogens. Auch am Beispiel der Firma Rau soll der DTXN aufzeigen, wo der Betrieb in Sachen Digitalisierung steht und in welchen Bereichen noch Optimierungspotenzial besteht.
Digitalisierung kann auch in Traditionsbetrieben helfen
Doch bei dem ersten Treffen von Mittelstand und Wissenschaft ging es vor allem um das gegenseitige Kennenlernen. „Wir haben ein Gefühl für das Geschäftsmodell der Firma bekommen und gesehen, wo der Schuh in Sachen Digitalisierung drückt“, berichtet Pufall. „Rau stellt ganz solide und qualitativ sehr hochwertige Industriemöbel her. Analoger und physischer geht es kaum“, sagt Jäckle über das 1946 von Wagnermeister Wilhelm Rau gegründete Unternehmen.
Für Jäckle, Professor für Marketing und Sales Excellence, ist gerade dieser vordergründige Gegensatz aus einem ganz soliden Produkt und dessen Möglichkeiten in Sachen Digitalisierung spannend. Entsprechend ist es ihm und seinem Kollegen Pufall, Professor für Produktionstechnik und -optimierung sowie Technologiemanagement, auch überhaupt nicht schwergefallen, den Zuschlag für den Check–Up an die Rau GmbH zu vergeben.
Doch das Thema Digitalisierung spielt bereits seit gut zehn Jahren eine zentrale Rolle in der Firma, die von Janniks Vater Bernd Rau in dritter Generation geführt wird. In der internen Kommunikation arbeitet man inzwischen mit einem digitalen „Schwarzen Brett“ und seit zwei Jahren auch mit einer innovativen Mitarbeiter-App.
Auch immer mehr Prozesse und Abläufe wurden und werden noch ins digitale Zeitalter überführt. Besonders stolz ist Jannik Rau auf das erfolgreich abgeschlossene Projekt „digitale Fertigung“. Dies spart nicht nur jede Menge Zeit und Wege – etwa zum Drucker und wieder zurück –, sondern jährlich auch an die 400.000 Blatt Papier und die entsprechende Menge an Druckertoner.
Kundschaft reicht vom Dax-Konzern bis zum Heimwerker
Die größte Bedeutung bei der Rau GmbH haben digitale Lösungen bereits im Vertrieb, der vor einigen Jahren noch vor allem über den Fachhandel und Außendienstler erfolgte, die mit dicken Katalogen die Kundschaft direkt aufsuchten. „Heute werden rund 75 Prozent des Umsatzes online abgewickelt“, berichtet Rau. Die Kundschaft reicht von Dax-Konzernen über Mittelständler und Behörden bis zum Heimwerker im Nachbardorf, wobei Rau nicht direkt an die Kunden verkauft, sondern über Zwischenhändler operiert.
Auch bei der immer schwieriger werdenden Gewinnung von Auszubildenden setzt Rau längst auf Online. Die Azubis werden dort umworben, wo sie sich aufhalten – im Internet auf den einschlägigen Plattformen.
Dies macht Rau mit Erfolg: Trotz des immer mehr um sich greifenden Arbeitskräftemangels finden die Balinger noch immer ihre Mitarbeiter. Von den insgesamt zwölf Ausbildungsplätzen konnte dieses Jahr nur einer – im technischen Bereich – nicht besetzt werden. Rau war auch eines der ersten Unternehmen in Baden-Württemberg, das von Beginn an die erst 2018 als Ausbildungsberuf eingeführten E-Commerce-Kaufleute ausbildete – mittlerweile zum großen Nutzen des Betriebs.
Kundenwünsche auf digitalem Wege erfüllen
Nun sind die beiden Raus, die inzwischen auch die 130 Fragen des DTNX beantwortet haben, gespannt, welche weiteren Potenziale in Sachen Digitalisierung in dem Betrieb schlummern.
Besonders spannend findet Junior-Chef Rau den Ansatz der beiden Weingartener Professoren, die längst nicht nur von der Technik und den Prozessen her denken, sondern das Thema Digitalisierung vor allem als ein Kundenthema sehen. Welche Bedürfnisse und Wünsche haben die Kunden und wie kann man diese auf digitalem Wege am besten erfüllen. So wird nicht nur die Arbeit erleichtert –auch der Kundennutzen und damit die Umsätze können deutlich steigen.
„Super Team mit jungen Leuten und digital recht gut aufgestellt“
„Oft besteht – ganz zu Recht – die Befürchtung, dass Berater immer alles besser wissen. Das ist aber nicht zielführend. Zielführend ist, dass wir eine externe Sicht von der Innovations- und Technologieseite her einbringen“, erläutert Professor Jäckle seine Vorgehensweise.
„In unserer Datenbank haben wir mehr als 500 digitale Transformationsprojekte analysiert und entsprechend Zusammenhänge hergeleitet.“ Diese zeigten, wie es vergleichbaren Unternehmen gelungen ist, digitale Transformation erfolgreich zu bewerkstelligen – oder aber auch zu scheitern. „Denn gerade aus dem Scheitern ergeben sich oft spannende Erkenntnisse“, weiß Jäckle. Der Eindruck der Digital-Profs nach dem Vor-Ort-Besuch bei Rau: „Die haben ein super Team mit jungen Leuten und sind auch schon recht gut bezüglich digitaler Technologien aufgestellt“, lobt Pufall.
Auch Künstliche Intelligenz könnte denkbar sein
Wie geht es nun weiter? Nach der umfangreichen Analyse durch den DTXN erfolgt eine ausführliche Präsentation der Ergebnisse durch die beiden Weingartener Wissenschaftler. Und dann werden endlich auch die zentralen Fragen beantwortet: Wo steht Rau? Wobei schlägt sich das Unternehmen schon richtig gut? In welchen Feldern ist noch Luft nach oben? Und wo bestehen gegebenenfalls Potenziale – ganz neue Chancen und Möglichkeiten durch digitale Lösungen? Hierzu wollen Pufall und Jäckle bei nächsten Treffen dann auch schon ganz konkrete Projektideen präsentieren.
Einsatz von KI nur mit Nutzenfaktor
Schon jetzt hat auch Jannik Rau erste Ideen, wie der 134-Mitarbeiter-Betrieb noch digitaler und entsprechend besser werden kann. Der 27-Jährige, der Technisches Management studiert hat, denkt beispielsweise an den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. In diese Richtung machen sich auch die beiden Professoren bereits eifrig Gedanken. Für Jannik Rau ist aber auch klar, dass so etwas nur infrage kommt, wenn es einen wirklichen Nutzen für die Firma bringt – und nicht nur „aus Prinzip“ gemacht werden soll. Man darf auf jeden Fall gespannt sein, wie es weitergeht im Hause Rau.